Anlässlich zu deinem 70. Geburtstag habe ich den offenen Brief an dich, den ich im Herbst 2019 geschrieben habe ein wenig überarbeitet und aktualisiert.
Mit Erschrecken musste ich damals feststellen daß du im Herbst 2019 einen Beitrag von der Prostitutionsgegnerin Sandra Norak geteilt hast indem sie die Zustände in der Kurfürstenstrasse in Berlin angeprangert hat, abgebildet war auf dem Foto ein verdrecktes Toilettenhäuschen.
Warst du schon mal da? Ist direkt bei der U-Bahn Haltestelle Kurfürstenstrasse. Ich habe es mir die Tage angesehen und fand es jetzt nicht wirklich spektakulär.
Ja klar, es standen ein paar Frauen herum die ihre Dienste anboten. Wird es auch immer geben so etwas, ist eben nur die Frage inwiefern sie vom Gesetz geschützt werden können gegen z.B. übergriffige Freier, Zuhälter etc oder ob wir sie alleine lassen indem wir sie in die Illegalität treiben?!
Wie das z.B. in Schweden der Fall ist. Ich habe dazu mal einen Blogbeitrag geschrieben, denn ich bin nicht nur die Musikerin Mechthild Hexengeige sondern auch die tantrische Domina MadameKALI die um ihren Arbeitsplatz bangt. Denn im Gegensatz zu einer solchen musikalischen Koryphäe wie dir langt bei mir die Musik nicht zum Lebensunterhalt.
HIER ist der direkte Link zu diesem Artikel
Übrigens: in Schweden ist man mittlerweile der Meinung auch die Huren daselbst zu bestrafen.
Wie war das noch mit Queerness und Hedonismus?!
Ich bin ein Fan von Dir seit meinen frühen Teenie Tagen! Gerade deine Sexpositive und Selbstbestimmte Einstellung hat mich immer wieder inspiriert und Mut gemacht!
In meinem Blogbeitrag habe ich auch noch zahlreiche Verlinkungen zu Studien bezüglich dieses Themas hingewiesen, z.B. Amnesty International, AIDS Hilfe, Die Diakonie Deutschland, Ärztevereinigungen, Bund deutscher Richterinnen etc. die zeigen in welches Elend Sexkaufverbot und Prostitutionsverbote Sexarbeiter*innen treiben.
Zurück zur Kurfürsten Strasse in Berlin:
Da das neue sog. ProstituiertenSCHUTZgesetz von 2017 jetzt die umliegenden Wohnungen für diese Sexarbeiter*innen alle weggenommen hat blieb eben NUR noch die Strasse. Damit wenigstens mal in Ruhe aufs Klo gegangen werden kann (und nicht mehr ständig hinter Mülltonnen in Hinterhöfen gepinkelt wird) wurden diese Bio-Toiletten aufgestellt.
Ein Tropfen auf den heissen Stein und auch kein vernünftiges Badezimmer mehr wo man/frau sich eben mal frisch machen kann. Bei der ausgeübten Tätigkeit als Sexarbeiterin eine absolute Zumutung!
Durch den Wegfall der Wohnungen werden nun auch diese Toilettenhäuschen zur „Verrichtung“ genutzt, wie es im Amtsdeutsch genannt wird - wenigstens ein bisschen wettergeschützt!
Ja, es gibt gewiss schönere Arten der (Sex)arbeit nachzugehen.
Geanu so wie es auch schönere Arten des musizierens gibt als Straßenmusik bei jedem Wind und Wetter um den Lebensunterhalt zu bestreiten.
Nichtdestotrotzgibt es uns nunmal, zum Glück in der Legalität in der wir etwaige Gesetzesübertretungen wie Gewalt oder Bedrohungen durch Kund*innen, Erpressungen von anderen Personen im Sinne von Loverboy-Methode, Menschenhandel oder Zuhälterei anzeigen können ohne uns selber diskreditieren zu müssen.
Hurenrechte sind Menschenrechte!
Wir kämpfen für ein freies und selbstbestimmtes Leben!
Auch wenn unsere Art Sexualität zu leben eine Abweichung gängiger Sexualmoral darstellt sind wir nicht die Sündenböcke irgendwelcher Moralapostel. Uns vorschreiben zu wollen wie wir unser Leben zu Leben haben und unsere Sexualität gestalten sollen ist höchst anti-feministisch!
Denn genau das wollen wir Feminist*innen ja, daß mit uns und nicht über uns debattiert wird!
Du selbst hast in einigen deiner Werke die (sexuelle) Freiheit und Unabhängigkeit besungen, so möchte ich dich zitieren:
„...leg mir lieber Puder, Kamm und Lippenstift bereit, dann gehe ich mit Frau Holle auf den Strich!“ aus: PANK
Für manche von uns ist es vielleicht genau so eine Trotzreaktion, aber dann auch wiederum eine recht lukrative. Für manche ist es „nur“ das Geld - immerhin mehr und „einfacher“ als viele andere Jobs die für marginalisierte Personen zu Verfügung stehen.
Für manche von uns die Erfüllung als Tantra-Meisterin, Sex-Göttin oder la Traviata. Die Gründe sind so vielfältig und zahlreich wie wir selbst.
Einige haben sich zusammengeschlossen zum Berufsverband Sexarbeit - wir sind quasi die Gewerkschaft der Huren und möchten weiterhin legal und damit sicher arbeiten.
Gerade du solltest verstehen daß es Menschen und Frauen gibt die keinen Bock haben sich dem (beruflichen) gesellschaftlichen Einheitsbrei anzuschließen und lieber ganz eigene Wege gehen.
Übrigens sind auch sehr viele Künstler*innen unter uns Sexarbeitenden dabei, denn ein Leben für die Kunst braucht auch Brot und Atelier um überleben zu können!
Daß Slutshaming und Hurenstigma sich gegenseitig bedingen und durchdringen und ein perfides Machtinstrument sind um weiblich gelesene Menschen im Patriarchat zu unterdrücken habe ich in meinem aktuellen Blogbeitrag zum diesjährigen internationalen Frauentag (feministischer Kampftag) ausführlich dargestellt.
Hier ist der direkte Link:
https://madamekali.de/Slut-Shaming-Hurenstigma.html
Das Netzwerk ELLA, welchem du dich hast anschließen lassen möchte daß wir Sexarbeitenden „verschwinden“.
Schlampen sind in derer Sauber-Frau-Welt nicht erwünscht.
Bunte Vögel, wie wir beiden es sind, werden dann noch mehr stigmatisiert.
Schlampen eben.
Uns alte Zirkuspferde tangiert das vielleicht nur noch am Rande, aber unsere Enkelinnen werden dies bitter zu spüren bekommen.
Denn die Hure meint mitnichten „nur“ die Sexarbeiterin, es ist das negativ Beispiel der ehrbaren Frau. Ihre Abwertung, ihr Ausschluss aus dem Sozialgefüge der Gesellschaft dient dem patriarchalen Druck der dann auf alle weiblich gelesenen Personen ausgeübt werden kann.
Und das kannst auch du nicht wollen!
Für ein selbstbestimmtes Leben!
Stigmatisierung kills!
Sexarbeit ist Arbeit!
Legalize my Job!
Nachtrag Ende Februar 2020
Wie ich aus gut unterrichteten Kreisen aus Berlin erfahren habe haben wohl Freunde mit ihr über dieses Thema gesprochen. Sie hat sich da wohl „beratschern“ lassen zu einer Thematik zu der sie sonst keinen Zugang und auch keine Ahnung hat. Es scheint ihr mittlerweile selbst ein wenig peinlich zu sein.
Der Fall scheint ähnlich gelagert zu sein wie die EMMA Kampagne von 2013 namens „Prostitution abschaffen“ die seinerzeit auch mit falschen Informationen Promis gelockt haben. Diese Promis haben sich dann im Nachhinein schamhaft abgewendet und ihre Unterstützung abgesagt nachdem ihnen klar wurde welchem Schmieren-Komödiantentum sie da aufgesessen waren.
Vielleicht ist es an der Zeit, liebe Nina, nochmal genau hinzuschauen was dich und uns bewegt.
Feminismus? Frauen schützen?
Ganz bestimmt!
Aber nicht indem man denen am Rande der Gesellschaft ihre Existenzgrundlage illegalisiert und somit raubt.
Hier noch ein wissenschaftlicher Artikel zu dem Thema:
https://editionf.com/ueber-sexismus-sexarbeit-und-vergessene-gewalt/
Einen lieben Gruß von der „Hurengewerkschaft“
#BesD wünscht dir deine Frau Hexengeige